Freiheit im Evangelium

Freiheit im Evangelium

Reformationstage 2020

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Text Von der Freiheit eines Christenmenschen

Wie wir bereits im einführenden Vortrag gehört haben, streicht Luther in seiner Schrift besonders heraus, dass die Bibel dem Christen zwei Naturen zuschreibt. Es wird unterschieden zwischen dem inneren und dem äusseren Menschen. Luther zeigt in zwei Teilen auf, welchen Einfluss das Evangelium auf die beiden Naturen hat. Wenn er das tut, folgt er eigentlich der logischen Reihenfolge der biblischen Lehre.

Er beantwortet die Frage, die wohl alle Menschen sich in der einen oder anderen Weise stellen: «Wie kann ich wirklich frei sein?» Die Antworten der Philosophien und Religionen sind vielfältig. Die eher materialistisch geprägte Antwort zielt auf die äusseren Umstände. Sie sagt: «Wenn ich es schaffe, alle äusseren Hindernisse zu meiner Freiheit zu beseitigen, dann bin ich frei.»

So würde ein Gefangener sagen: «Wenn die Türe meiner Zelle geöffnet wird, wenn die Gefängnismauer durchbrochen wird, dann kann ich raus, dann bin ich frei.» Oder ein Angestellter sagt vielleicht: «Wenn mein tyrannischer Chef weggeht und durch einen liberaleren und lockeren ersetzt wird, dann bin ich frei.» Oder das Kind denkt: «Wenn meine Eltern mir keine Vorschriften mehr machen würden, dann wäre ich frei.»

In einigen Religionen oder religiösen Praktiken geht das ein wenig subtiler, feiner. Aber man wendet da auch äusserliche Mittel an, die positiv auf den Menschen wirken sollen, wie z.B. Massagen, Steine, Duftstoffe, etc. Das Motto kann mit einem alten Buchtitel zusammengefasst werden: «Über den Körper die Seele heilen».

Auch die Päpstliche Kirche, die Luther reformieren wollte, ging in der Weise vor. Die äusserlich angewandten Praktiken oder Zeremonien (z.B. Taufe, Abendmahl, Fasten) wurden so verstanden, dass sie ex opere operato wirken. Das heisst, dass etwas allein dadurch wirkt, dass man es anwendet – unabhängig von der Einstellung des Ausführenden oder Empfangenden.

Nach dieser Sicht wirst du ein Christ und – mit Luthers Worten – recht und frei, indem du dich der Kirche anschliesst, anfängst all die kirchlichen Dinge zu praktizieren und dich in diesem kirchlichen Rahmen zu bewegen. Wenn du darin recht fleissig bist, geht es schneller, und am Ende bist du dann richtig und annehmbar für Gott und du hast das Ziel erreicht: die ewige Seligkeit (völlige Freiheit). Zusammengefasst heisst das: man arbeitet vom Äusseren zum Inneren.

Mit seiner Schrift zeigt Luther, dass es genau umgekehrt geht. Der Veränderung des äusseren Menschen geht die Veränderung des inneren voraus. Das Evangelium befreit den inneren Menschen, erst dadurch wird er ein Christ und ist dazu befreit, auch äusserlich seine Freiheit entsprechend zu leben. Darum beginnt der Reformator seine Schrift Von der Freiheit eines Christenmenschen mit der Freiheit des inneren Menschen.

Recht und frei

In seinen einführenden Zeilen finden wir auffällig häufig die beiden Begriffe recht und frei. Zum Beispiel schreibt er (Artikel 3):

Zuerst nehmen wir uns den inwendigen, geistlichen Menschen vor, um zu sehen, was dazu gehört, dass er ein rechter, freier Christenmensch sei und heisse. Hier ist es offensichtlich, dass kein äusserliches Ding ihn frei und recht machen kann, wie immer es heissen möge. Denn sein Rechtsein und seine Freiheit […] sind nicht leiblich noch äusserlich.

Diese beiden Begriffe stammen natürlich nicht allein aus Luthers Gedanken über den Menschen, sondern sind auch in der Bibel, namentlich im Neuen Testament, zentral, wo es um unser Heil und unsere Gottesbeziehung geht. Die beiden Worte gehören zusammen, sie beschreiben Gottes Willen für uns, das was durch das Evangelium in unserem Leben Realität werden soll und wird.

Wir können es auch so ausdrücken: in beidem geht es um die Freiheit. Wir sollen in einer doppelten Weise frei werden. Ich denke, dass wir es so verstehen sollten, dass Luther in seiner Schrift die beiden Worte so anwendet, dass frei bedeutet: frei von etwas und recht bedeutet: frei für etwas.

Im Verlauf des täglichen Lebens ist das nicht immer so scharf trennbar oder so separat ersichtlich, aber es entspricht der Realität des Evangeliums: Wenn wir sagen: «das Evangelium befreit mich», dann müssen wir die Frage beantworten: «Wovon und wozu befreit es dich?» Lasst uns kurz näher anschauen, wie das Neue Testament das ausdrückt.

Die Freiheit ist Gottes Wille für uns. Gott hat seinen Sohn Jesus Christus gesandt, um uns zu befreien. Jesus erklärt das den Juden, die anfingen, an ihn zu glauben (Johannes 8,31-32.36):

Wenn ihr in meinem Wort bleibt, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger, und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen! […] Wenn euch nun der Sohn frei machen wird, so seid ihr wirklich frei.

Was er sagt ist: «Der Sohn Gottes ist gekommen, um euch frei zu machen.» Hier beantwortet er noch nicht die Frage: «Frei wovon?» Das wird aber an vielen Stellen klar, wenn wir das Neue Testament durchforschen. Lasst mich ein Beispiel stellvertretend für die anderen nennen (Römer 8,1-2):

Also gibt es jetzt keine Verdammnis für die, welche in Christus Jesus sind. Denn das Gesetz des Geistes des Lebens in Christus Jesus hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.

Die Freiheit, die der Apostel hier nennt – und im Kapitel weiter ausführt – ist die Freiheit von der Sünde. Weil Christus an unserer Stelle die Sünde auf sich nahm und verurteilt wurde, lastet der Fluch der Sünde nicht mehr auf uns. Es gibt für die, die in Christus sind, keine Verdammnis, keine Verurteilung vor Gottes Gericht. Wir sind frei gemacht.

Dann: Das Wort recht, das Luther benutzt, kommt im Neuen Testament auch vor. Nicht mit exakt diesem Wort, aber mit derselben Bedeutung. Gottes Wille ist nicht nur, dass wir frei von etwas sind, frei von der Sünde, von der Verdammnis wegen der Sünde. Er befreit uns nicht nur und überlässt uns dann unserem eigenen Gutdünken. Er befreit uns auch für etwas, nämlich dafür, dass wir recht sind.

Wenn wir das Wort frei mit der Rechtfertigung wiedergeben, können wir das Wort recht mit der Heiligung gleichstellen. Wir sind recht für Gott, wenn wir heilig, oder geheiligt sind. Das bedeutet, dass wir in unserem Wesen so verändert werden müssen, dass wir Gott gefallen. Lasst mich wieder einige Beispiele nennen:

1. Thessalonicher 4,3: Denn das ist der Wille Gottes, eure Heiligung.

Hebräer 12,14: Jagt dem Frieden mit allen nach und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn schauen wird.

2. Timotheus 3,16-17: Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Belehrung, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes ganz zubereitet sei, zu jedem guten Werk völlig ausgerüstet.

Wir kommen später noch auf die Wirkung der Heiligen Schrift zu sprechen. Schauen wir hier zunächst auf das Ziel. Das Ziel ist, dass wir geheiligt sind. In 2Tim so ausgedrückt: ganz zubereitet, zu jedem guten Werk ausgerüstet.

Fassen wir zusammen. Als Christ frei und recht sein bedeutet: Frei von der Sünde – von ihrer Schuld, von der Verurteilung durch Gottes Gericht, von der knechtenden Macht der Sünde. Recht vor und für Gott – geheiligt, befähigt zu wünschen, zu denken, zu reden und zu handeln, wie es Gott gefällt.

Die Frage, die Luther in diesem einführenden Teil beantwortet, ist nun: Wie wird der innere Mensch frei und recht vor Gott? Auf welchem Weg geschieht das? Die Frage ist nichts weniger als die Frage nach der richtigen Religion, nach dem richtigen Verständnis und Umgang mit den geistlichen Realitäten.

Luther zeigt in zwei kurzen Teilen zuerst die falschen Wege und dann das rechte Mittel zur Freiheit.

Falsche Wege zur Freiheit

Die Beschreibung des falschen Wegs zur Freiheit richtet sich in erster Linie gegen die Lehre und Praxis der Römischen Kirche zu Luthers Zeit. Aber sie kann sehr gut auch auf alle falschen oder mangelhaften religiösen Praktiken in unserer Zeit angewandt werden.

Wie wir gesehen haben, gleichen ja im Ansatz viele Religionen und Philosophien denen der Kirche Roms, zum Teil bis in evangelikale Kreise hinein. Gerade auch viele dem christlichen Glauben eher fernstehende Menschen scheinen zu denken, dass Christ-sein bedeutet, äussere Handlungen oder Rituale zu vollziehen, um Gott zufrieden zu stellen, sein Wohlwollen zu verdienen und schliesslich - wenn es gut genug war – in den Himmel zu kommen.

Dem widerspricht Luther vehement (Artikel 4):

Es hilft der Seele nichts, wenn der Leib heilige Kleider anlegt, wie es die Priester und Geistlichen tun, auch nicht, wenn er sich in Kirchen und an heiligen Orten aufhält; ebenso wenig, wenn er mit heiligen Dingen umgeht; auch nicht, wenn er leiblich betet, fastet, pilgert und alle guten Werke tut.

Alle möglichen äusserlichen Praktiken wie Gebete sprechen, fasten, Taufe, Abendmahl, gute Werke, etc. helfen der Seele nicht, frei und recht zu werden. Sie sind an anderer Stelle richtig und wichtig, aber sie sind das falsche Mittel, um bei Gott Vergebung und Befreiung von der Sünde zu erlangen.

Wir können das erweitern über den christlichen Rahmen hinaus: Es hilft dem Hindu oder Buddhisten nicht, wenn er meditiert, Yoga oder was auch immer praktiziert. Es hilft dem Moslem nicht, wenn er täglich fünfmal Gebete verrichtet oder am Ramadan fastet und am Bairam Almosen gibt. Es hilft dem umweltbewussten Gutmenschen nicht, wenn er kein Fleisch isst oder seinen ökologischen (CO2) Fussabdruck klein hält. Hinter diesen Dingen mögen gute Absichten stehen und sie mögen zum Teil Gutes bewirken, aber sie befreien die Seele nicht und machen uns Gott nicht angenehm.

Denn – so Luthers Begründung (Artikel 4):

Es muss noch etwas ganz anderes sein, was der Seele Rechtsein und Freiheit bringt und gibt. Denn all die genannten Stücke, Tätigkeiten und Handlungsweisen kann auch ein böser Mensch an sich haben und ausüben, ein Blender und Heuchler. So entsteht durch solch ein Wesen ein Volk von lauter Heuchlern.

Den Israeliten, die meinen, dass sie Gott durch die äusserliche Religion zufriedenstellen können, sagt Gott durch den Propheten Amos (Amos 5,21-23):

Ich hasse, ich verwerfe eure Feste, und eure Festversammlungen kann ich nicht mehr riechen: Denn wenn ihr mir Brandopfer opfert, missfallen sie mir, und an euren Speisopfern habe ich kein Gefallen, und das Heilsopfer von eurem Mastvieh will ich nicht ansehen. Halte den Lärm deiner Lieder von mir fern! Und das Spiel deiner Harfen will ich nicht hören.

Das rechte Mittel zur Freiheit

Auf welchem Weg also soll die Seele (der innere Mensch) nach Gottes Willen recht und frei werden? Luther hält fest: durch nichts anderes als durch das Wort Gottes allein.

Es hat die Seele nichts anderes, weder im Himmel noch auf Erden, worin sie leben kann, recht, frei und Christ sei, als das heilige Evangelium, das Wort Gottes von Christus gepredigt. (Artikel 5)

Und er zitiert aus Matthäus 4:

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes hervorgeht.

Noch einmal Luther (Arikel 5):

Wenn sie aber das Wort hat, so braucht sie auch sonst nichts mehr, sondern sie hat an dem Wort Genüge, Speise, Freude, Friede, Licht, Erkenntnis, Gerechtigkeit, Wahrheit, Weisheit, Freiheit und alles Gute im Überschwang.

Darum ist es die Aufgabe der Kirche und ihrer Diener seit Jesus und den Aposteln, das Wort Gottes zu verwalten. Gott hat es ihnen anvertraut, damit sie durch dieses die Kirche ernähren und die Welt zu ihm rufen und einladen, die Freiheit der Christen zu finden. Da stellt sich die Frage, was denn dieses Wort Gottes konkret ist, was es sagt.

Luther fragt so und gibt im Folgenden die Antwort (Artikel 6):

Was ist denn das Wort Gottes, das eine so grosse Gnade gibt, und wie soll ich es gebrauchen?

Er sagt: Es ist die Predigt von Christus wie sie das Evangelium enthält. Nämlich, dass wir Gott zu uns reden hören über die wichtigste Wahrheit.

Die gute Nachricht des Evangeliums beginnt mit einer schlechten Nachricht: Unser Leben und unsere Taten sind nichts vor Gott. Alles, was von Natur aus in uns ist, führt uns nur dahin, dass wir ewig verloren gehen. Der Apostel Paulus erklärt das Evangelium im Römerbrief, indem er zuerst den bedauernswerten Zustand des natürlichen Menschen – ob er von Haus aus religiös ist oder nicht – beschreibt: dass er durch die von Adam geerbte Sünde tot ist.

Darum, wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod so ist der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, weil sie alle gesündigt haben. (Römer 5,12)

Und parallel dazu:

Ihr wart tot in euren Übertretungen und Sünden, in denen ihr einst wandeltet gemäß dem Zeitlauf dieser Welt, gemäß dem Fürsten der Macht der Luft, des Geistes, der jetzt in den Söhnen des Ungehorsams wirkt. Unter diesen hatten auch wir einst alle unseren Verkehr in den Begierden unseres Fleisches, indem wir den Willen des Fleisches und der Gedanken taten und von Natur Kinder des Zorns waren wie auch die anderen. (Epheser 2,1-3)

Diese schlechte Nachricht müssen wir verstehen und annehmen, bevor wir die gute hören und verstehen können. Luther sagt: Wenn wir das verstehen und glauben, werden wir an uns selbst verzweifeln. Erst dann werden wir offen für die Rettung und Befreiung, die wir in Christus angeboten bekommen. Gott stellt im Evangelium seinen Sohn Jesus Christus vor uns hin; ihm sollen wir uns im festen Glauben ergeben und auf ihn vertrauen.

Noch einmal ein Zitat Luthers (Artikel 6):

So sollen dir um dieses Glaubens willen alle deine Sünden vergeben und all dein Verderben überwunden sein, und du sollst gerecht, wahrhaftig, befriedet, recht sein; und alle Gebote sollen erfüllt und du sollst von allen Dingen frei sein.

Das ist das Evangelium. Das allein kann uns frei und recht vor Gott machen. Keine Religion, keine äusserlichen Dinge, Rituale, Zeremonien oder Handlungen können das erreichen. Das Evangelium von Jesus Christus ist die Wahrheit, die uns rechtfertigt und frei macht und auch unabhängig und frei von allen äusserlichen Situationen und Einflüssen sein und bleiben lässt.

Zum Schluss des Abschnitts zitiert Luther Paulus, und damit will auch ich abschliessen (Römer 1,16-17):

Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht, ist es doch Gottes Kraft zum Heil jedem Glaubenden, sowohl dem Juden zuerst als auch dem Griechen. Denn Gottes Gerechtigkeit wird darin geoffenbart aus Glauben zu Glauben, wie geschrieben steht: «Der Gerechte aber wird aus Glauben leben.»