Zwinglis Aufruf zum einem erneuerten Leben

Zwinglis Aufruf zum einem erneuerten Leben

MP3 EPUB

In der Vorbereitung auf diese Konferenz hat es mir viel Freude bereitet, mehr über die Schweizer Reformation zu erfahren. In meinem ganzen Studium zu Zwingli habe ich immer wieder gelesen, dass er ein «zweitklassiger Reformator» oder wenigstens «ein nicht so bekannten Reformator» sei. Ich muss zugeben, dass auch ich ihn so gesehen habe. Beim Studium des Lebens dieses grossartigen Mannes, hat sich meine Meinung jedoch geändert. In den Büchern zur Reformation wird Wittenberg und Genf die meiste Aufmerksamkeit geschenkt und Zürich wird oft übersehen. Das ist meiner Meinung nach schade. Es ist schwer zu sagen, wie erfolgreich die Reformation in Europa gewesen wäre, ohne den Mut und die Standhaftigkeit von Ulrich Zwingli für Christus und Gottes Wort.

Zwingli war Gottes Mann in Gottes Zeit in der Schweiz. Natürlich müssen wir vorsichtig sein, denn wenn man Biografien studiert gibt es immer zwei Fallen, in die man treten kann. Die eine Falle ist die Helden-Verehrung und auf der anderen Seite ist es die Schmähung. Wenn du über das Leben von geschichtlich bedeutenden Reformatoren, Missionaren oder Pastoren liest, wirst du leicht geneigt, sie entweder zu verehren oder zu verachte. Beides sind unnütze Extreme. Manche werden Zwingli, Luther und Calvin zu viel Achtung schenken und dabei ganz vergessen, dass auch sie Sünder waren, gebrochene Männer, die versucht haben, das Beste mit den ihnen gegebenen Ressourcen zu leisten. Gleichzeitig wird es auch Menschen geben, die offensichtliche Fehler aufzeigen und historische Persönlichkeiten als Bösewichte verrufen. Wir alle kennen zum Beispiel die Anklage gegen Luther wegen seiner Aussage über die Juden. Eine sehr gängige Anklage gegen Calvin und eine weit verbreitete Meinung ist, dass er Schuld am Tod von Servetus hatte. Bei Zwingli ist es ähnlich. Manche sagen er ist aufgrund von seinem grossen Mut in der Reformation ein Held und andere halten ihn für einen blutrünstigen Extremisten, weil er sich nicht gegen die Obrigkeit stellte, um die Hinrichtung der Täufer zu verhindern.

Wenn man die Geschichte jedoch aus einem reiferen Blick betrachtet, wird unser Standpunkt moderater. Wir können erkennen, wie einst ein Pastor über die Reformatoren gesagt hat, dass «sogar die besten Männer bestenfalls nur Männer sind». Ja, auch sie waren Sünder, gebrochene Männer ─ sowohl im Positiven als auch im Negativen das Ergebnis ihrer Kultur. Aber natürlich müssen wir auch beachten, welchen Gewinn sie der Kirche und dem Königreich Christi gebracht haben. So sehe ich Zwingli nicht als Held oder Bösewicht, sondern als ein Mitglied der «Wolke von Zeugen» aus Hebräer 11, der uns durch sein Leben und seinen Glauben in unserem Rennen für Christus anfeuert ─ zusammen mit allen anderen gebrochenen Mitgliedern der Halle des Glaubens, wie dem schüchternen Mose, Jakobus dem Lügner, David dem Ehebrecher und Petrus dem Verräter. Wo wäre wir ohne diese treuen sinner-saints, die geheiligten Sünder.

Das Thema, das mir für diese Konferenz zugeteilt wurde, ist Zwinglis Aufruf zu einem erneuerten Leben. Zuerst dachte ich aus mehreren Gründen, dass das eine schwierige Aufgabe sei. Es gibt von Zwingli nicht sehr viele originalgetreue Quellen, wie das bei Luther oder Calvin der Fall ist. Und die Schriften, die uns vorliegen, sind meisten Widerlegungen oder Briefe an Freunde, Gegner, Bischöfe oder Synoden. Es blieben bloss eine handvoll Predigten erhalten und seine 67 Schlussthesen zur Disputation. Zunächst frustrierte mich das wenige Material, mit dem ich mich auf diesen Vortrag vorbereiten sollte. Je mehr ich mich jedoch mit dem Thema beschäftigt habe, desto deutlicher wurde, dass Zwingli selbst der Ruf zum erneuerten Leben ist. Er ist die Verkörperung unseres Themas. In Zwinglis Fall ist der Mann die Botschaft.

Was ich heute tun möchte, ist die Botschaft dieses Mannes anzuschauen. Die Botschaft, die er seiner Kirchengemeinde und seiner Stadt vermittelte und die für uns noch heute in seiner Biographie deutlich wird. Das tun wir, indem wir uns die drei CS von Zwinglis erneuertem Leben in Christus anschauen. Nun im Englischen sind es drei Cs, im Deutschen ist es ein Ü und ein H und ein K. «ÜHK» klingt nicht so gut, aber im Englischen stehen die drei Cs für Conviction, Commitment und Cost. Auf Deutsch die Überzeugung, die Hingabe und die Kosten von Zwinglis erneuertem Leben in Christus.

Lasst uns mit dem ersten C, nämlich Conviction und auf Deutsch der Überzeugung, beginnen, die das Leben von Zwingli als Reformer definiert.

Die Überzeugung

Wenn man sich das Leben von Zwingli genauer anschaut, stellt man fest, dass er und Luther zwei sehr unterschiedliche Reformatoren waren. Luther war ein Schüler der Scholastik und Zwingli hatte eine humanistische Ausbildung. Luther war Mönch, isoliert von seiner deutschen Verwandtschaft, und Zwingli war Pfarrer einer Gemeinde, der jede Woche im engen Kontakt mit seiner Herde lebte.1 Luther übersetze die Bibel in seinem einsamen Zimmer auf der Wartburg, währenddessen war Zwingli eng verbunden mit den Höhen und Tiefen des Alltags in Zürich. Diese unterschiedlichen Erfahrungen haben der Reformation jeweils ihre eigene Prägung gegeben.

In einem ganz wichtigen Punkt waren sich Luther und Zwingli jedoch ganz ähnlich: keiner von beiden hatte vor, die römische Kirche zu verlassen. Beide Reformatoren haben langsam und jeder zu seiner Zeit, als sie mehr und mehr mit dem Wort Gottes vertraut wurden, die Widersprüchlichkeit der römischen Theologie und den Bräuchen der Kirche bemerkt.

Wir alle wissen, dass es Luther, als Mönch in Erfurt war, durch das Lesen von Römer 1,17 auf den Weg der Reformation kam. Eine Passage, die seine Leidenschaft für die Bibel weckte und die er dann genutzt hat, um mit der römischen Kirche in den Kampf zu treten. Das gleiche gilt auch für Zwingli. Als er als Priester in Glarus und Einsiedeln tätig war, ist er tief in sein Studium eingestiegen. Er hat das griechische Neue Testament Wort für Wort abgeschrieben und dabei auswendig gelernt. Ganz langsam durch sein methodisches Studieren der Bibel hat auch Zwingli angefangen, viele Traditionen und Lehren der Kirche in Frage zu stellen. Kurz drauf war die Reformation auch in der Schweiz in vollem Gange. Auch wenn die Reformation in gewisser Weise eine Antwort auf die Korruption, soziale Ungerechtigkeit und Machtspiele der Kirche war, so war doch das genaue Lesen der Heiligen Schrift der wahre Anstoss und das Feuer für die Reformation. Säkulare Wissenschaftler führen gerne alle möglichen sozial-wirtschaftlichen und politischen Gründe an, die die Reformation ausgelöst haben sollen. Lasst euch nicht täuschen: dies waren nur die Symptome der wirklichen Krankheit, nämlich der biblischen Ignoranz. Die Reformatoren wollten keine sozialen Veränderungen erreichen, sondern die Umkehr zurück zur Autorität der Schrift. Und sie haben geglaubt, dass genau diese Neubesinnung mit der Zeit auch die anderen Symptome beseitigen werde. Die Kirche im heutigen Europa muss viel von diesen Beispielen lernen. Wie Luther war auch Zwingli davon überzeugt, dass das Wort Gottes die notwendige Medizin sei, um die Kirche zu reformieren und das Leben eines Gläubigen zu erneuern. Zwinglis Nachfolger in Grossmünster Heinrich Bullinger hat einmal diese neu gefunden Leidenschaft in Zwinglis Leben beschrieben.

Er wollte die Schrift interpretieren, aber nicht nach der Auffassung der Menschen, sondern zur Ehre Gottes und seines Sohnes, unserem Herrn Jesus Christus und ebenso für die wahren Errettung der Seelen und Erbauung von frommen und ehrbaren Männern …2

Es gab für Zwingli keinen Zweifel daran, wie wichtig Gottes Wort im Leben eines Gläubigen zur Erneuerung ist. Aber wie bei Luther ist seine Wandlung nicht über Nacht geschehen. Gottes Timing war perfekt. Zwinglis neu gefunden Liebe für die Schrift gepaart mit einigen Erfahrungen, die er gemacht hat, haben ihn dazu bewegt, seine ersten Schritte im Protest gegen die römische Kirche zu machen.

Eine von diesen Erfahrungen war die Schlacht von Marignano im Jahr 1516. Während Zwingli Priester in Einsiedeln war, hat er seine Berufung als Militärgeistlicher für die römische Kirche angenommen. Es war ein blutiger Kampf, in dem er den Tod von über 6000 jungen Soldaten für die Machtspiele der Politik beobachten musste. Hier hat er begonnen zu fragen «Wofür?». Ulrich hat es nicht für gutgeheissen, dass der Papst die Schweizer Soldaten für seinen Eroberung von Europa eingesetzte. Er hat dies als Machtmissbrauch in Frage gestellt. Der aufblühende Reformator bewegte die Frage, wo in der Bibel darüber geschrieben steht, dass die Kirche das Recht habe, das Schwert zu schwingen und Söldner für das Königreich zu verpflichten? Und wenn wir schon dabei sind: Wo steht in der Schrift, dass wir Maria oder Heilige anbeten sollen? Mit welcher Berechtigung bestimmt die Kirche Fastenzeiten, während denen es sogar den hart arbeitenden Bauern verboten ist, Fleisch zu essen. Und wo in der Bibel steht geschrieben, dass Priester nicht heiraten dürfen?

Je tiefer er das Wort studierte, desto deutlicher wurde Zwingli die Unstimmigkeit zwischen Gottes Wort und den Traditionen der katholischen Kirche. Er begann seiner Frustration Luft zu verschaffen. Im Jahr 1522, vier Jahre nach seiner Einstellung am Grossmünster in Zürich begann der Reformator Abhandlung um Abhandlung zu versenden. Darin stellte er mit den Worten der Bibel die jahrhundertealten römischen Traditionen in Frage. In einem seiner Briefe forderte er den Vikar Johannes Faber auf, seine Gedanken zu widerlegen. Er beendete seinen Wunsch mit den Worten: «Ich bitte dich um der christlichen Liebe Willen, tue das mit klarer, reiner und göttlicher Schrift.» Diese Haltung liebe ich! Herrlich! Sag mir, dass ich falsch liege, aber tu es das mit der Autorität von Gottes Wort und nicht mit Zeugnissen von Kirchenvätern oder den Konzilien.

Das ist der erste C von Zwinglis erneuertem Leben in Christus. Die Überzeugung, dass Gottes Wort allein sowohl massgeblich als auch ausreichend für das Leben der Kirche ist. Aber das ist nur der erste Bestandteil, der den Mann Ulrich Zwingli ausmacht. In der Geschichte finden wir viele Menschen, die dieselbe Auffassung haben, aber das ist nicht genug, um ein erneuertes Leben in Christus zu führen. Überzeugung ist ein Teil, ein wichtiger Teil, ein fundamentaler Teil ─ ohne diesen gibt es keinen grundlegenden Wandel ─, aber es ist nicht das einzige was benötigt wird, um einen Mann oder eine ganze Nation zu reformieren.

Das stelle ich immer wieder fest, wenn ich in Neuenburg dem Ort, in dem ich in Deutschland lebe, mit Leuten über Jesus spreche. Ich habe viele Freunde, die sagen, dass Sie an Gott glauben und manche von ihnen glauben sogar, dass Jesus am Kreuz gestorben und wieder auferstanden ist. Sie sind von dieser Wahrheit überzeugt aber Sie zeigen keine Frucht eines reformierten Lebens. überzeugt von der Wahrheit zu sein ist nicht genug- wie Jakobus 2:19 uns anschaulich erinnert. Jakobus sagt, dass sogar die Dämonen glauben, dass Jesus von den Toten auferstanden ist und, dass die Schrift das Wort Gottes ist und obwohl ihnen die Knie zittern gibt es in ihrem Leben keine Umkehr oder Reformation.

Das erste «C» in Zwinglis erneuertem Leben ist die Überzeugung, dass das Evangelium wahr ist und Gottes Wort Autorität hat. Es ist allerdings eine Sache, auf der Kanzel voller Überzeugung davon zu sprechen, dass die Bibel ohne Fehler ist. Wenn das Leben nicht dieser Botschaft entspricht, dann bin ich, wie Paulus es einst sagte, nichts mehr als ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Ohne das zweite C hat das erste, Conviction, die Überzeugung, bloss eine geringe Bedeutung.

Die Hingabe

Das zweite C ist Commitment, die Hingabe von Zwinglis Leben für die Wahrheit. Er hat nicht nur an die Autorität von Gottes Wort geglaubt, sondern sein Leben auch an ihr ausgerichtet. Ich bin mir sicher, ihr habt in einem der vorherigen Vorträge bereits gehört, dass Zwingli als er im Jahr 1518 ins Grossmünster nach Zürich kam, einen radikalen Schnitt gemacht hat und nicht mehr über die Bibeltexte predigten, die von der Kirche vorgeschrieben wurden.3 Anstatt thematisch dünne Predigten über Abschnitte zu halten, öffnete Zwingli die Bibel und begann fortlaufend das Matthäusevangelium auszulegen. Die Überzeugung, dass die Gemeinde Gottes Wort braucht, hat seinen Dienst komplett verändert. Zwingli hat erkannt, dass Gottes Wort echte Nahrung für Gottes Volk ist und dass es seine Aufgabe ist, die Gemeinde jeden Sonntag zu versorgen.

Gottes Wort hat das Leben des Reformators für immer verändert. Eines meiner Lieblingszitate von Zwingli ist: «Um Gottes Willen sollst du dich nicht gegen sein Wort stellen. Wahrhaftig es wird bestehen, so sicher wie der Rhein seine Richtung behält.»4 Anders gesagt, versuche nicht, Gottes Wort aufzuhalten. Lass den Strom von Gottes Wahrheit dich dorthin führen, wo er will.

Ich liebe es, dass Zwingli diese Metapher vom Rhein verwendet hat und das nicht nur, weil unsere Kirche nur einen Steinwurf vom Rhein entfernt ist, sondern weil dies auch ein Bild ist, mit dem ich gerne über den christlichen Glauben spreche. Ich habe in Neuenburg häufig die Möglichkeit in Bibelstudien und Seminaren über Apologetik zu sprechen. Um den christlichen Glauben zu beschreiben, verwende ich gerne das deutsche Wort «Weltanschauung». Das Christentum verändert deinen Blick auf alles. Es ändert nicht nur, wie ich den Sonntag und das Leben nach dem Tod verbringe. Christ zu sein verändert die Sicht auf das ganze Leben: den Umgang mit Geld, den Kindern, Sex, Essen und meine Einstellung zur Politik. Christentum ist wahrhaftig eine umfassende Weltanschauung.

Allerdings kann der Begriff «Weltanschauung» das Christentum nicht in seiner ganzen Fülle beschreiben. Eine Weltanschauung ist passiv. Sie ist einfach nur die Linse, durch die ich die Welt betrachte. Das Christentum ist jedoch auch eine aktive Entscheidung, nicht bloss eine Lehre zu glauben, sondern einer Person zu folgen, nämlich Jesus Christus.

Zwingli war nicht nur ein überzeugter Gläubiger, er war auch ein hingebungsvoller Nachfolger Christi und sein Leben war Beweis für diese Realität. Er hatte nicht nur eine christliche Weltanschauung, sondern sich entschlossen in das Boot von Christus gesetzt und vom Ufer abgedrückt, damit der Strom von Gottes Wort, ihn dahin bringen konnte, wo immer es dem Herrn gefiel.

So viele Christen betrachten die Welt passiv durch die Weltanschauung der Bibel, ohne aktiv nach der Wahrheit des Evangeliums zu leben. Sie respektieren das Wort Gottes, sind aber nicht bereit, mit beiden Füssen in das Boot zu steigen. Und wir wissen doch alle, dass dieser Schritt beängstigend ist. Viel einfacher ist es, am Ufer zu bleiben, wo ich Kontrolle über mein Leben, mein Schicksal und meine Entscheidungen behalte. Wenn ich mich Christus wirklich hingebe ─ wenn ich in das Boot steige ─, wer weiss schon welche Stromschnellen vor mir liegen. Aber Zwingli ist diesen Schritt gegangen. Er ist Christus in Gottes Wort und im Evangelium begegnet. Er war gewiss, in den Stromschnellen zusammen mit Christus sicherer zu sein, als wenn ohne seinen Herrn an Land geblieben wäre. Ulrich war nicht nur von der Wahrheit in Gottes Wort überzeugt, sondern hat sich mit seinem ganzen Wesen dieser Überzeugung hingegeben. In der Kirche liegt heute der Fokus zu sehr auf Überzeugung und zu wenig auf der Hingabe. Deshalb sind wir schnell darin Gläubige zu machen aber keine Jünger.

Vor drei Jahren kam alle sechs Wochen ein Mann zu uns in den Gottesdienst. Jedesmal ging er sofort nach dem Segen. An einem Sonntag bin ich zur Tür geeilt, um ihn dort zu treffen und mich vorzustellen. Ich habe ihn gefragt, ob wir uns auf ein Bier treffen, um uns kennen zu lernen. Er hat zugestimmt und wir hatten eine grossartige Zeit. Während unseres Treffens hat er mir gesagt, dass er noch kein Christ sei, aber gerne mehr erfahren möchte. Ich habe ihn gefragt ob er sich die nächsten sechs bis acht Wochen mit mir treffen möchte, um das Evangelium besser kennen zu lernen. Auch dazu hat er zugesagt und unser erstes Treffen war in der darauffolgenden Woche. Gegen Ende dieser Wochen schaute mich der Mann mit einem Lächeln im Gesicht an und sagte: «Ich möchte Christ werden.» Er war überzeugt, dass das Evangelium wahr ist. Ich war natürlich voller Freude. Wie die meisten von euch wissen, sind diese Erfahrungen hier in Europa leider sehr selten. Ich habe versucht mich daran zu erinnern, was ich in dieser Situation machen soll. Es war schon eine Weile her, seit ich einem Menschen begegnet bin, der Christ werden wollte. Beten wir ein Gebet zusammen? Besprenge ich ihn mit Weihwasser? Wie ist der Ablauf?

Ich entschloss mich, mit ihm zu beten. Bevor ich ihn auffordern konnte, mir ein Gebet nachzusprechen, habe ich mich an die Hingabe erinnert, die zum glauben an Christus gehört. Deshalb sagte ich zu ihm: «Es ist grossartig, dass du Christ werden willst. Verstehst du aber, was das bedeutet? Du übergibst dein Leben Christus, steigst mit beiden Füssen in sein Boot. Das heisst, dass du dich unterordnest, wenn du etwas in der Bibel liest, was du nicht verstehst. Selbst wenn es dir nicht gefällt, ist es wahr. Es ist so, wie Zwingli gesagt hat: Das Wort der Bibel gilt egal, ob es uns passt oder nicht. Und wenn etwas in deinem Leben ist, was nicht mit Gottes Wort übereinstimmt, was natürlich immer wieder passiert, wirst du es bekennen und danach trachten, es zu verbessern.» Ganz direkt frage ich ihn: «Bist du bereit, das zu tun?» Sein vorheriges Lächeln war weg. Ganz ernst sagte er: «Nein, dafür bin ich noch nicht bereit». Und ich sagte: «OK, kein Problem. Das ist ein grosser Schritt. Nehme dir alle Zeit, die du brauchst. Wir treffen uns einfach weiter und du sagst mir, wenn du so weit bist.» Zwei Wochen später sagte er: «Ich bin bereit ein Nachfolger Jesus Christi zu werden.» Heute ist er ein treuer Diener in unserer Gemeinde.

Ich erzähle euch diese Geschichte, weil Überzeugung der notwendige Grundstein für unseren Glauben ist. Aber bis wir bereit sind, diesen Schritt in das Boot mit Christus zu gehen, mit allen Ängsten, Zweifeln, Sünden, allem Versagen, um uns Jesus und seinem Wort anvertrauen, sind wir noch keine Nachfolger geworden. Für Zwingli war dies kein Glaubensschritt, sondern ein Sprung mit dem ganzen Körper in das Boot des Herrn. Er war von ganzem Herzen bereit dorthin zu gehen, wo immer der Herr, sein Geist und der Strom seines Wortes ihn leiten. Nicht bloss seine Anschauung oder Lebenswandel verändert sich daraufhin, sondern seine ganze Person.

Zwingli hat sich dem Wort Gottes in jedem Bereich seines Lebens vollkommen hingegeben. So sehr, dass es sogar angeklagt wurde, ein Theonomist zu sein. Das ist jemand, der danach strebt, das göttliche Gesetz als führendes zivilrechtliches Prinzip in der Regierung zu verankern. Ich möchte nicht die Rechtmässigkeit dieser Anschuldigung diskutieren, aber einfach zeigen, dass Zwingli, als er davon überzeugt wurde, dass Gottes Wort ausreichend ist, bereit war, jeden Teil seines Lebens unterzuordnen. Er konnte es nicht länger ertragen, auch nur irgendetwas an sich zu haben, das ausserhalb der Herrschaft seines Herrn stand. Dr. Joe Alain sagt in einem Artikel «Ulrich Zwingli ein mutiger Soldat für Jesus Christus”, dass es der Wunsch des Reformators war «jeden Bereich des Lebens mit dem Willen Gottes in Einklang zu bringen.»5

Überzeugung ist das erste C von Zwinglis erneuertem Leben in Christus und die Hingabe ist das zweite. Das bringt uns zum dritten und somit letzten C.

Die Kosten

Das dritte C ist Cost ─ die Kosten, die Zwingli wegen seiner Überzeugung und Hingabe zu Gottes Wort auf sich nahm. Viele Menschen mögen an Gott glauben. Nur wenige leben diese Überzeugung jedoch mit Hingabe aus. Und noch weniger sind bereit, die Kosten zu tragen, die mit dieser Hingabe zur Überzeugung verbunden sind. Jesus verdeutlichte diese Wahrheit durch ein Gleichnis. Viele hören das Evangelium und sind von der Wahrheit überzeugt. Sie fangen sogar an zu wachsen und zeigen Zeichen der Hingabe. Aber leider wird der Glaube zuletzt erstickt, von den Sorgen der Welt und Herausforderungen, die wir zu tragen haben. Zwingli jedoch kannte die Kosten und war bereit, alles auf sich zu nehmen, was die Hingabe zu Christus von ihm verlangte, sogar das Ende seines Lebens.

Sich Christus und der Autorität seines Wortes hinzugeben wird uns in diesem Leben etwas kosten. An unterschiedlichen Orten der Welt variieren die Kosten. In manchen Regionen wird es dein Leben kosten oder deine Freiheit. In Europa kostet es vielleicht viel weniger, aber es bleibt niemals kostenlos. Es kostet dich vielleicht eine Freundschaft, vielleicht die Chance auf eine Beförderung, vielleicht eine Verlegenheit in einem unangenehmen Gespräch. Vielleicht wirst du hinten herum auf der Arbeit «Fischle» genannt.

Im 16. Jahrhundert in Zürich hat die Hingabe zur Bibel sehr viel gekostet. Zwingli wurde durch die Kirche unter Druck gesetzt. Er hat seinen Job und sein Leben riskiert. Aufgrund der 500 Jahre grossen zeitlichen Lücke zwischen damals und heute übersehen wir sehr oft diese beängstigende Realität. Versucht euch in seine Lage zu versetzen und erinnert euch daran, dass zu dieser Zeit Menschen wegen Ketzerei Zürichsee ertränkt wurden. Sein Widerstand gegen Rom war keine kleine Angelegenheit. Er war bereit die Kosten dieses Risikos zu akzeptieren. Und es gab noch weitere Kosten neben der ständig drohenden Hinrichtung. Sich gegen Rom zu stellen bedeutete auch, finanzielle Vorteile zu verlieren. Bis dahin hatte er vom Papst als Dank für seinen Loyalität und seinen Dienst für die Kirche eine Pension erhalten. Diese musste er aufgeben.6

Oswlald Myconius, ein Freund von Zwingli, schrieb in der ersten Biografie kurz nach seinem Tod folgendes: «Der Papst hat Zwingli Angebote gemacht, damit er die Schweiz und Zürich für die katholische Kirche behalten kann. Zwingli hat diese Angebote abgelehnt.” Dr. Francis Zinck erzählte Myconius einst vom Preis, den die römische Kirche bereit war zu zahlen, um Zwinglis Loyalität zu kaufen. Er sagte: «Ihm wurde bis auf den Papstthron alles angeboten.» Myconius kommentierte: «Hätte Zwingli die Gnade des Menschen der Gnade Gottes bevorzugt, hätte er in seinem Leben alles haben können.»7

Für Christus und Gottes Wort einzustehen hat Zwingli sehr viel gekostet. Myconius berichtet, dass Zwingli einmal nur sehr knapp, aufgrund einer göttlichen Planänderung, einem Entführungsversuch seiner Feinde entkam. Ein anderes Mal ist ein Mann, mit einem grossen Schwert bewaffnet, durch die Strassen gezogen und hat auf eine günstige Gelegenheit gewartet, um Zwingli in der Öffentlichkeit zu erstechen. Wiederum ein anderes Mal haben zwei betrunkene Sympathisanten der römischen Kirche Steine, durch seine Fensterscheibe geworfen. Das alles war sehr beängstigend ─ Zwinglis Eifer für die Reformation wurde dadurch allerdings nicht gehindert.

Am Ende bezahlte Zwingli seine Überzeugung sogar mit seinem Leben. Im zweiten der zweiten Schlacht in Kappel fiel er. In den USA gibt es eine Redensart: Monday morning quaterbacking. American Football wird meistens am Sonntagabend gespielt. Unter den Fans ist es üblich, das Spiel vom Vorabend am Montagmorgen zu analysieren. Es wird dann darüber gesprochen, was der Quaterback, der Spielgestalter, hätte machen können, um das Spiel zu gewinnen. Genau das passiert auch in geschichtlichen Betrachtungen sehr häufig. Viele haben die Meinung, dass das Schlachtfeld nicht der richtige Platz für den Pfarrer des Grossmünsters war. Zwingli habe mit zu viel Nachdruck versucht, die Reformation auch in die anderen Kantone zu bringen. Egal was ihr über seinen Militärdienst und seinem Tod auf dem Schlachtfeld im Jahr 1531 denkt, es kann nicht verleugnet werden, dass er für das, woran er geglaubt hat, sein Leben einsetzte. Zwingli war überzeugt, dass Gottes Wort nicht nur die einzige Autorität der Kirche, sondern auch das grösste Bedürfnis der Schweizer ist. Er hat sich dieser Überzeugung hingegeben und hat die Kosten akzeptiert, die sie mit sich brachte.

Schluss

Was ist nun Zwinglis Aufruf zu einem erneuerten Leben? Aus seinen Schriften und Briefen kann das nur sehr schwer zusammengefasst werden, aber in seinem Leben sehen wir es sehr deutlich. Zwingli selbst ist der grösste Aufruf zu einem erneuerten Leben. Er war ein Mann, der von der Wahrheit Gottes Wortes überzeugt war, sein Leben dafür hingegeben hat und bereit war, zu bezahlen was es auch kostete. Er wollte unbedingt sehen, wie sich Gottes Wahrheit in seiner Nation ausbreitete.

Ich denke, diese Reihe zur Reformation findet zu einer sehr wichtigen Zeit für die Kirche in Europa statt. Es ist wichtig, dass gerade heute über das Leben von Ulrich Zwingli nachgedacht wird. Wir leben in einer Kultur, in der der Glauben reine Privatangelegenheit ist. Wir behalten ihn für uns und er hat kaum Einfluss auf unseren Alltag oder unsere Gemeinschaft. Für Zwingli kann das nicht sein. Dein Glaube an Jesus Christus beeinflusst alles, was dich umgibt. Es ist nicht nur einfach eine Überzeugung des Geistes, sondern eine Überzeugung des ganzen Wesens.

Der Glaube an Jesus und sein Wort ist ein Ganzkörpereinsatz. Es ist der beidbeinige Sprung in das Boot Jesu. Es ist eine sehr beängstigende Entscheidung. Viele ungewisse Ströme liegen vor uns. Aber ich glaube, wenn Zwingli uns eine Sache aus der grossen Wolke der Zeugen, von der anderen Seite des Grabes, anfeuernd zurufen könnte, dann wäre es, dass so lange Christus in unserem Boot ist, gibt es keinen Platz der sicherer ist. Also kommt mit Zwingli in das Boot, drückt euch vom Ufer ab und lasst den Strom von Gottes Wort euch leiten, wohin er will.

  1. Selected works of Huldreich Zwingli (1484-1531), Ed. Samuel Macauley Jackson. 

  2. Hillerbarnd, Hans, J. The Reformation in its Own Words (NY, 1964) S. 118. 

  3. Selected works of Huldreich Zwingli (1484-1531), Ed. Samuel Macauley Jackson. 

  4. Dr. Peter Hammond, https://www.youtube.com/watch?v=fA84odEHyiw. 

  5. Ulrich Zwingli, Bold Soldier of Jesus Christ, Joe Alain https://www.preaching.com/articles/ulrich-zwingli-bold-soldier-jesus-christ/. 

  6. The Latin works of and correspondence of Huldreich Zwingli, The original life of Zwingli, S. 19. 

  7. a.o.g.O.