Der freie Wille

Der freie Wille

MP3 OGG EPUB PDF

Luther schreibt in seiner 13. These: Der freie Wille nach dem Sündenfall ist nur noch eine Bezeichnung, und wenn er tut, soviel ihm möglich ist, tut er Todsünde. Diese Aussage hat er zu einem späteren Zeitpunkt noch verstärkt. Rund zwei Jahre nach der Heidelberger Disputation (1520) wurde ihm durch eine päpstliche Bulle der Bann angedroht. In dieser Bulle wurde namentlich auch diese 13. These verurteilt. Luther schrieb eine Verteidigung gegen die Bulle und verstärkte darin seine These folgendermassen:

Ich habe nicht recht geredet, dass der freie Wille, ehe die Gnade wirkt, nur dem Namen nach eine Sache sei; sondern ich hätte einfachhin sagen sollen, der freie Wille sei ein Name ohne Sache, weil es in niemandes Vermögen steht, etwas Böses oder Gutes zu ersinnen, sondern alles durch eine absolute Notwendigkeit geschieht.

Desiderius Erasmus, der zuerst den Reformbemühungen Luthers zugeneigt war, war empört über diese Aussage und verfasste seine berühmte Schrift «Vom freien Willen». Luther wiederum antwortete ihm mit seiner umfassenden Schrift «Vom unfreien Willen», einem Meisterwerk der theologischen Argumentation, das bis heute viel gelesen wird. Luther selbst sagte, er betrachte es (neben dem grossen Katechismus) als sein wichtigstes Werk.

Luther war nicht der erste, der das Thema der Willensfreiheit bearbeitete. Es schon im vorchristlichen Judentum darüber debattiert. Ebenso in der frühen Christenheit (Anfangs 5. Jahrhundert) gab es die Auseinandersetzung zwischen Augustinus und Pelagius (auf die sich Luther mehrfach bezieht). Auch Calvin schreibt über die Willensfreiheit oder -unfreiheit, ebenfalls im Sinn Augustins und Luthers. Im 17. Jahrhundert griffen die sog. Remonstranten, Schüler von Jacob Arminius, das Thema wieder auf. Die Reformierten Kirchen Europas verwarfen dann an der Synode von Dordrecht 1619 deren Lehren. Im 18. Jahrhundert schrieb der amerikanische Theologe Jonathan Edwards sein Werk «Die Freiheit des Willens».

Die Diskussion darüber, ob und inwiefern der Mensch einen freien Willen hat, ist heute nicht zu Ende. Und das ist gut so. Wenn wir nur etwas tiefer in das Thema einsteigen, wird sich zeigen, wie zentral wichtig unser Verständnis von der Kraft oder Fähigkeit des menschlichen Willens ist, wenn es um die Frage des Heils in Christus geht. Es geht um die Frage, was der Sündenfall in uns angerichtet hat, wovon wir gerettet werden müssen und auf welchem Weg wir tatsächlich gerettet werden können. Genau darum hat Luther seine Aussagen über den unfreien Willen in diese Disputation über die Rechtfertigung integriert.

Ob wir durch das Einhalten des Gesetzes von Gott angenommen werden können, hängt eng damit zusammen, wie frei unser Wille ist, wie sehr wir das vollbringen können, was wir wollen. Oder wie sehr wir überhaupt wollen können, was in Gottes Augen gut ist. Ich habe in meinem Vortrag über Gesetz und Gnade gesagt, dass es in der evangelikalen Christenheit heute eine Tendenz gibt, auf dem Weg des Gesetzes selig zu werden. Ebenso hat sich der Glaube verbreitet, den Pelagius, Erasmus und die Arminianer vertraten: «Der Mensch hat einen freien Willen. Er kann sich frei für das Gute oder Böse entscheiden. Er muss nur motiviert werden, das Richtige zu wollen.»

Dieser Glaubenssatz widerspricht nicht nur dem, was Augustinus, Luther und die Reformierten Theologen in den vergangenen Jahrhunderten statuierten, sondern auch der biblischen Lehre vom Menschen und von der Erlangung des Heils. Und dazu lehrt auch die Erfahrung –­wenn man denn bereit ist, es ehrlich zu prüfen – dass der menschliche Wille nicht wirklich frei ist.

Der kolumbianische Philosoph Nicolàs Gomez Dávila schrieb: «Der moderne Mensch ist ein Gefangener, der denkt, er sei frei, weil er es vermeidet, die Wände seines Kerkers zu berühren.» Dieser Satz passt sehr gut in die Diskussion über den freien Willen. Wenn man herausfinden will, wie frei man wirklich ist, müsste man versuchen, die Freiheit anzuwenden. Man müsste anfangen, in die Richtung zu gehen, von der man meint, man sei frei, dorthin zu gehen.

Ich nehme an, der Mensch, den Dávila beschreibt, ist im Dunkeln. Darum müsste er die Wände seines Kerkers berühren, weil er sie nicht sehen kann. Es würde ihm noch besser helfen, wenn er Licht hätte, dann könnte er sie sehen. Das ist es, was das Wort Gottes tut. Es bringt Licht in den Kerker des unfreien Menschen. So kann er die Wände sehen, die nach seinem ursprünglichen Irrglauben gar nicht da wären. Darum lasst uns die Heilige Schrift danach fragen, wie es mit der (Willens-)Freiheit des Menschen tatsächlich aussieht.

Luther verwendet zur Begründung seiner Thesen nur zwei Stellen aus der Schrift. Sie stützen seine grundsätzliche Aussage, dass der Wille des Menschen nur frei zum Bösen sei, und dass das Heil nicht durch unser, sondern nur durch Gottes Wirken zustande kommen kann. Etwas detaillierter und doch überschaubar ist der 9. Artikel im WB über die Freiheit des Willens. Ich möchte deshalb im Folgenden diesem Artikel entlang gehen.

Der Wille im Stand der Unschuld

Das WB (Artikel 9) unterteilt das Thema Willensfreiheit in fünf Punkte, wovon der erste eine grundsätzliche Aussage über den menschlichen Willen macht und die restlichen den Willen in vier Zuständen beschreibt. Zuerst heisst es:

Gott hat den Willen des Menschen mit einer solchen Freiheit ausgerüstet, dass er weder zum Guten oder Bösen gezwungen, noch durch irgendeine absolute natürliche Notwendigkeit begrenzt worden ist.

Das meint, dass wir ursprünglich und grundsätzlich so geschaffen sind, dass wir nicht wie Roboter nur das tun (Gutes oder Böses), was uns einprogrammiert wurde. Gott hat den Menschen nicht so geschaffen, dass er nur das wollen kann, was er ihm eingegeben hat. Sonst wäre das Böse, das wir wollen, auch von Gott und er wäre somit auch der Urheber des Bösen.

Niemand sage, wenn er versucht wird: Ich werde von Gott versucht. Denn Gott kann nicht versucht werden vom Bösen, er selbst aber versucht niemand. Ein jeder aber wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust fortgezogen und gelockt wird. (Jakobus 1,13f)

Gott ist nicht Urheber des Bösen im Menschen. Als Gott den Menschen schuf, zeigte er ihm vielmehr das Gute und das Böse und forderte ihn auf, ihm zu gehorchen und damit das Gute zu tun. Diese Aufforderung steht immer noch vor uns, wie Gott auch noch nach dem Sündenfall zu seinem Volk sagte:

Das Leben und den Tod habe ich euch vorgelegt, den Segen und den Fluch! So wähle das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen, indem du den Herrn, deinen Gott, liebst und seiner Stimme gehorchst und ihm anhängst! (5. Mose 30,19)

Grundsätzlich, oder sagen wir schöpfungsgemäss, haben wir die Voraussetzung, Gutes oder Böses zu wählen. Gott macht uns verantwortlich, seiner Stimme zu gehorchen und das Gute zu wählen. Die Frage ist, ob wir das auch können. Erasmus argumentierte gegenüber Luther, dass wenn Gott uns verantwortlich macht, dann müssen wir es auch ausführen können – somit sei unser Wille frei, sonst könnte Gott uns nicht für unser Handeln verantwortlich machen.

Diese Art von Willensfreiheit – das Gute zu wollen und es auch ausführen zu können – gesteht das WB nur dem Menschen im Stand der Unschuld zu. Damit meint es den Stand, den der Mensch vor dem Sündenfall Adams hatte:

In seinem Stand der Unschuld besass der Mensch die Freiheit und Kraft, das zu wollen und zu tun, was gut und wohlgefällig vor Gott ist; dies jedoch veränderlich, sodass die Möglichkeit gegeben war, auch davon abzufallen.

Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbild: gut, unschuldig und frei. In diesem ursprünglichen Zustand hatte er die Freiheit und Kraft, das Gute zu tun, das Gott forderte. Aber er hatte auch die Möglichkeit, ungehorsam zu sein. Über diesen möglichen Ungehorsam hat Gott die Todesstrafe ausgesprochen.

Und Gott, der Herr, gebot dem Menschen und sprach: Von jedem Baum des Gartens darfst du essen; aber vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, davon darfst du nicht essen; denn an dem Tag, da du davon isst, musst du sterben! (1. Mose 2,16f)

Der Wille im Stand der Sünde

Wir wissen, dass der Mensch nicht gehorchte und der Tod kam (Römer 5,12):

Darum, wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod und so der Tod zu allen Menschen durchgedrungen ist.

Und mit dem Tod meinte Gott nicht nur den leiblichen Tod, sondern auch den geistlichen. Durch seinen Abfall vom Gehorsam gegen Gott fiel der Mensch – wie es das WB ausdrückt – in den Stand der Sünde:

Durch seinen Fall in den Stand der Sünde hat der Mensch alle mit seiner Erlösung verbundene Fähigkeit verloren, das geistlich Gute zu wollen. Deshalb ist der natürliche, völlig von diesem Guten abgewandte, in Sünden tote Mensch unfähig, sich durch eigene Kraft selbst zu bekehren oder sich selbst darauf vorzubereiten.

Die Kern-Begriffe hier sind: Unfähig, geistlich Gutes zu wollen, in Sünden tot, unfähig, sich zu bekehren oder sich darauf vorzubereiten. Die Unfähigkeit das Gute zu wollen benennt auch Luther in seiner 13. und 14. These. Er zitiert dazu aus dem Johannesevangelium:

Jesus sprach nun zu den Juden, die ihm geglaubt hatten: Wenn ihr in meinem Wort bleibt, so seid ihr wahrhaft meine Jünger; und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen. Sie antworteten ihm: Wir sind Abrahams Nachkommenschaft und sind nie jemandes Sklaven gewesen. Wie sagst du: Ihr sollt frei werden? Jesus antwortete ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Jeder, der die Sünde tut, ist der Sünde Sklave. (Johannes 8,31-34)

Die Sünde, in der der Mensch seit Adam lebt, versklavt ihn. Er lebt unter ihrer Macht. Er kann nicht mehr anders, als sündigen. Diese Versklavung schliesst den Willen ein. Unter dieser Knechtschaft ist alles, was wir wollen, von der Sünde durchdrungen. Darum werden wir auch nicht das geistlich Gute wollen.

 Denn das Sinnen des menschlichen Herzens ist böse von seiner Jugend an. (1. Mose 8,21)

Es mag jemand erwidern: «Aber die Menschen können doch Gutes wollen und tun. Es gibt doch viele, die keine Christen sind und doch wohltätig handeln, ihren Nachbarn helfen, in Hungersnot und Katastrophen Hilfe leisten, ihre Ehepartner und Kinder lieben, usw.» Das stimmt natürlich, aber nach der biblischen Lehre ist all das von Sünde und Eigennutz durchzogen.

Menschen können nicht, wie das Gesetz Gottes verlangt, Gott lieben von ganzem Herzen, mit ganzer Kraft und ganzem Verstand. Sie können nicht ohne böses Begehren und ohne Zorn und Hass leben. Das natürliche Begehren zieht den Menschen von dem wahren Gott weg, nicht zu ihm hin unter seinen Gehorsam. Das WB führt dazu weitere Belegstellen an:

Weil die Gesinnung des Fleisches Feindschaft gegen Gott ist, denn sie ist dem Gesetz Gottes nicht untertan, sie kann das auch nicht. Die aber, die im Fleisch sind, können Gott nicht gefallen. (Röm 8:7-8)

Auch euch hat er auferweckt, die ihr tot wart in euren Vergehungen und Sünden, in denen ihr einst wandeltet gemäss dem Zeitlauf dieser Welt, gemäss dem Fürsten der Macht der Luft, des Geistes, der jetzt in den Söhnen des Ungehorsams wirkt. Unter diesen hatten auch wir einst alle unseren Verkehr in den Begierden unseres Fleisches, indem wir den Willen des Fleisches und der Gedanken taten und von Natur Kinder des Zorns waren. (Epheser 2,1-3)

Ein Toter wird nicht nur nichts tun können, sondern auch nichts wollen. Durch die Macht der Sünde existiert der Mensch als geistlich Toter, er kann nur noch das wollen und tun, was mit dem Tod zusammenhängt – das ist der Zustand der Trennung von Gott, der Quelle allen Lebens. Damit er das Gute wollen kann, ist die Auferweckung des Toten notwendig. Diese können wir nicht selbst bewirken. Das WB sagt, wir können uns nicht selbst darauf vorbereiten, zu Gott umzukehren. Das ist allein Gottes Werk:

Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht der Vater, der mich gesandt hat, ihn zieht; und ich werde ihn auferwecken. (Johannes 6,44)

Der Wille im Stand der Gnade

Als dritten möglichen Status des Willens nennt das WB den Stand der Gnade, eine vorerst teilweise Befreiung:

Wenn Gott einen Sünder bekehrt und ihn in den Stand der Gnade versetzt, befreit er ihn von seiner angeborenen Versklavung unter die Sünde und macht ihn durch seine Gnade allein fähig, frei das zu wollen und zu tun, was geistlich gut ist, jedoch so, dass er aufgrund seiner verbleibenden Verderbnis nicht vollkommen oder ausschliesslich das will, was gut ist, sondern auch das, was böse ist.

Die Befreiung unseres Willens geschieht erst durch die geistliche Wiedergeburt. Jesus sagte:

Während ihr noch in der Sünde lebt, seid ihr Sklaven der Sünde, wenn euch der Sohn frei macht, dann seid ihr wirklich frei. (Johannes 8,34.36)

Und der Apostel Paulus erklärt:

Denn Gott ist es, der in euch wirkt sowohl das Wollen als auch das Wirken zu seinem Wohlgefallen. (Philipper 2,13)

Gott bewirkt beides, dass wir das Gute nicht nur tun können, sondern dass wir es überhaupt erst wollen. Bevor Gott wirkt und ohne dass er wirkt, geschieht nichts dergleichen. Wir sind ursprünglich tot und müssen erst auferweckt werden.

Wie das WB aber richtig sagt, ist auch in diesem Stand der Wille noch nicht vollkommen frei, nur das Gute zu wollen. Durch die geistliche Wiedergeburt bekommen wir eine neue, eine geistliche Natur. Aber Gott hat in seiner Weisheit auch die alte, fleischliche Natur noch bestehen lassen. Diese hängt noch an der Sünde und zieht uns immer wieder in die andere Richtung, entgegen der geistlichen Gesinnung der neuen Natur. So entsteht ein Kampf, unser Wille ist zweigeteilt. Der Apostel Paulus beschreibt diesen Kampf:

Denn das Fleisch begehrt gegen den Geist auf, der Geist aber gegen das Fleisch; denn diese sind einander entgegengesetzt, damit ihr nicht das tut, was ihr wollt. (Galater 5,17)

Denn was ich vollbringe, erkenne ich nicht; denn nicht, was ich will, das tue ich, sondern was ich hasse, das übe ich aus. Denn ich weiss, dass in mir, das ist in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnte; denn das Wollen ist bei mir vorhanden, aber das Vollbringen des Guten nicht. Denn das Gute, das ich will, übe ich nicht aus, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. Ich finde also das Gesetz, dass bei mir, der ich das Gute tun will, nur das Böse vorhanden ist. Denn ich habe nach dem inneren Menschen Wohlgefallen am Gesetz Gottes. Aber ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetz meines Sinnes widerstreitet und mich in Gefangenschaft bringt unter das Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist. (Römer 7,15.18.19.21-23)

Der Wille im Stand der Herrlichkeit

Der Wille ist im Stand der Gnade, beim bekehrten Menschen, zwar befreit, das Gute zu wollen, aber die vollkommene Kraft, das Böse ganz zu überwinden, haben wir noch nicht. Sie wird erst da sein, wenn wir auch von dem Leib des Todes befreit sind. Paulus leidet selbst unter dem Dilemma und ruft aus: «Ich elender Mensch, wer wird mich befreien von diesem Todesleib?!» (Römer 7,24).

Die Antwort darauf bekommen wir auch von Paulus und den anderen Aposteln in ihren Briefen. Sie ist zusammengefasst in WB 9.5:

Der Wille des Menschen wird erst im Stand der Herrlichkeit völlig und unveränderlich dazu befreit sein, um nur das Gute zu tun.

Das Heilswerk Gottes in Christus genügt nicht nur, um uns in diesem Leben teilweise zu befreien, sondern zur vollkommenen Freiheit, um im verherrlichten Zustand nur noch das Gute zu wollen, ihn vollkommen anzubeten und ihm zu dienen.

Denn die er vorher erkannt hat, die hat er auch vorherbestimmt, dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Die er aber vorherbestimmt hat, diese hat er auch berufen; und die er berufen hat, diese hat er auch gerechtfertigt; die er aber gerechtfertigt hat, diese hat er auch verherrlicht. (Römer 8,29-30)

Geliebte, jetzt sind wir Kinder Gottes, und es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden; wir wissen, dass wir, wenn es offenbar werden wird, ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist. (1. Johannes 3,2)

Der Wille des Menschen ist in seinem natürlichen Zustand, so wie er geboren wird, grundsätzlich nicht frei. Der Sündenfall hat uns geistlich getötet und unter die Sünde versklavt, so dass wir nur noch wollen können, was Gott nicht gefällt, und somit was böse ist. Wir müssen durch das Wunder der Wiedergeburt befreit werden und werden erst danach das wollen, was Gott will – das Gute und Vollkommene und Gerechte.

Das Bekenntnis von Westminster (WB) zeigt dies etwas detaillierter als Luther in der Heidelberger Disputation. Luther schreibt aber einige Jahre später (1525) sein Werk «Vom unfreien Willen» und wird darin sehr ausführlich. Wie schon Augustinus vor Luther schreiben auch nach ihm verschiedene reformierte Theologen über dieses so wichtige Thema.

Es ist in der Tat so wichtig wie fast kein anderes Thema. Es hängt mit der Frage zusammen, wie wir das Heil erlangen. Das war der Grund für Luther, die drei Thesen über die Willensfreiheit in seine Disputation zur Rechtfertigung einzufügen. Es geht schliesslich um die Frage, ob der Mensch fähig ist, durch das Erfüllen des Gesetzes von Gott angenommen zu werden. Dazu wäre ein Wille nötig, der frei ist, das Gute zu wählen und zu tun.

Wenn wir das Evangelium von der Rettung durch Christus richtig verkündigen wollen, dann müssen wir verstehen und predigen, wovon der Mensch gerettet werden muss. Wir müssen verstehen, in was für einem Zustand er tatsächlich ist. Ist er – so wie die Römische Kirche es lehrt – durch die Sünde lediglich beeinträchtigt, so dass er mithilfe von etwas Gnade sich selber in Gottes Nähe arbeiten kann? Oder ist er – wie die Kirchenväter, Luther, Calvin und die anderen Reformatoren es lehrten – völlig verdorben und sein Wille geknechtet, so dass er gar nichts vollbringen kann?

Ich hoffe, gezeigt zu haben, dass die Bibel die Lehre der Reformation stützt. Wenn wir das erkennen und glauben, werden wir Christus anders verkündigen als die Römisch-Katholische Kirche – und heute leider oft auch der evangelikale Zweig der Kirche – es tut.

Wir werden nicht einen Christus verkündigen, der lediglich ein Freund und Helfer ist, der uns das Leben angenehmer zu gestalten hilft. Ein guter Lehrer, der uns zeigt, wie wir bessere Nachbarn, Väter und Mütter sein können. Oder wie wir das Beste aus unserem Potenzial machen, das bereits in uns sei. Nein, wir werden den Christus der Bibel verkündigen, der Tote auferweckt. Den Christus, der sich des total verdorbenen Sünders erbarmt, ihn von seiner Sünde reinigt und ihn durch den Heiligen Geist erst befähigt, etwas zu Gottes Wohlgefallen zu wollen und zu tun.

Denn die Gnade Gottes ist erschienen, heilbringend allen Menschen, und unterweist uns, damit wir die Gottlosigkeit und die weltlichen Lüste verleugnen und besonnen und gerecht und gottesfürchtig leben in dem jetzigen Zeitlauf, indem wir die glückselige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres grossen Gottes und Heilandes Jesus Christus erwarten. Der hat sich selbst für uns gegeben, damit er uns loskaufte von aller Gesetzlosigkeit und sich selbst ein Eigentumsvolk reinigte, das eifrig sei in guten Werken. (Titus 2,11-14)

Denn einst waren auch wir unverständig, ungehorsam, gingen in die Irre, dienten mancherlei Begierden und Lüsten, führten unser Leben in Bosheit und Neid, verhasst, einander hassend. Als aber die Güte und die Menschenliebe unseres Heiland-Gottes erschien, errettete er uns, nicht aus Werken, die, in Gerechtigkeit [vollbracht], wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit durch die Waschung der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes. Den hat er durch Jesus Christus, unseren Heiland, reichlich über uns ausgegossen, damit wir, gerechtfertigt durch seine Gnade, Erben nach der Hoffnung des ewigen Lebens wurden. (Titus 3,3-7)