Gesetz und Gnade

Gesetz und Gnade

MP3 OGG EPUB PDF

‹Gesetz und Gnade› oder auch ‹Gesetz und Evangelium› sind Begriffe, die in Luthers Wirken und Schriften eine zentrale Rolle spielen. Luthers Protest gegen die falsche Lehre der Römisch-Katholischen Kirche, seine Bemühungen als Reformator, haben ihren Anfang in seiner persönlichen Gottesbeziehung. Als junger Mönch plagte er sich lange Zeit mit der Frage, wie er als sündiger Mensch von einem heiligen Gott akzeptiert und angenommen werden kann. Aus dieser Zeit stammt der bekannte Ausruf Luthers: «Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?!»

Ich denke, es ist nicht übertrieben, wenn wir sagen: Die Reformation Luthers wurde – zumindest in den Anfängen – von dieser Frage und der Antwort darauf getragen. Sie war seine Motivation, die 95 Thesen zum Ablasshandel zu veröffentlichen und ist eigentlich auch die Kernfrage in der Heidelberger Disputation.

Die Römisch-katholische Kirche lehrte sozusagen eine Kombination von Gesetz und Gnade darin, wie ein Mensch von Gott angenommen wird. Die Grund-Idee dabei ist, dass der Mensch sich bemüht, das Gesetz Gottes zu halten, und Gottes Gnade ist dabei eine unterstützende Kraft, die ihm dabei hilft, das zu vollbringen. Luther dagegen erkannte aus der Lehre der Bibel, dass es nur möglich ist, aus Gnade allein von Gott angenommen zu werden.

Um das zu verdeutlichen, macht er in den Thesen seiner Disputation eine detaillierte Unterscheidung zwischen Gesetz und Gnade. Zu Unrecht haben die Gegner der Reformation Luther und den Reformatoren immer wieder vorgeworfen, ihre Lehre von der Rechtfertigung allein aus Gnade würde Gesetzlosigkeit bewirken.

Luthers Betonung ging nie in diese Richtung. Er würdigte das Gesetz und die guten Werke und gab ihnen grosses Gewicht. Und bei Calvin und seinen reformierten Nachfolgern finden wir sogar noch eine stärkere Betonung der Rolle des Gesetzes in der christlichen Frömmigkeit. Was Luther hier schon zu Beginn tatsächlich tut, ist zu zeigen, welche Rolle dem Gesetz und welche der Gnade zukommt im Heil des Menschen.

Ich werde dies im Folgenden etwas weiter ausführen. Ich gehe dabei auf die Aussagen in Luthers Thesen ein, möchte aber nicht bei diesen bleiben, sondern hauptsächlich – wie Luther es in seinen Begründungen ja auch tat – die Aussagen mit der biblischen Lehre untermauern. Wir bedenken zuerst die Aufgaben und Wirkungen des biblischen Gesetzes, dann die alles umfassende Gnade Gottes und ihre Wirkung.

Die Aufgaben und Wirkungen des Gesetzes

Luther schreibt als erste These: «Das Gesetz Gottes, die heilsamste Lehre des Lebens, kann den Menschen nicht zur Gerechtigkeit bringen; es ist ihm vielmehr ein Hindernis auf dem Wege dazu.» Während er das Gesetz als Weg, sich bei Gott angenehm zu machen oder das Heil zu verdienen, schärfstens ablehnt, kann er es hier doch ‹die heilsamste Lehre des Lebens› nennen. Das ist es tatsächlich.

Es gibt nichts besseres, hilfreicheres und heilsameres als Leitlinie und Massstab für ein Leben, das Gott gefällt und für den Menschen segensreich ist, als das Gesetz, die Gebote Gottes. Der Apostel Paulus – der ja lange vor Luther das Gesetz als Weg zur Erlangung des Heils ablehnt – lehrt (Römer 7,12): «Das Gesetz ist heilig und das Gebot heilig und gerecht und gut.»

Die Reformatoren waren sich hierin einig: Die 10 Gebote als das moralische Gesetz Gottes sind nicht aufgehoben. Sie sind als Lebensregel für den Christen weiterhin gültig; Gott erwartet, dass wir nach ihnen leben sollen – ja sogar gemäss den Geboten wollen und denken sollen. Jesus sagte (Matthäus 5,17): «Ich bin nicht gekommen, um das Gesetz aufzulösen, sondern um es zu erfüllen.»

Christus ist gekommen, um sich ein Volk zu erlösen, das zu neuem Gehorsam gegenüber den Geboten befähigt ist. So schreibt der Apostel (Titus 2,14): «Er hat sich selbst für uns gegeben, damit er uns loskaufte von aller Gesetzlosigkeit und sich selbst ein Eigentumsvolk reinigte, das eifrig sei in guten Werken.» Was diese guten Werke sind, zeigt uns das Gesetz.

Als Gott seine Gebote gegeben hatte, sagte er unmissverständlich: Und meine Ordnungen und meine Rechtsbestimmungen sollt ihr halten. Durch sie wird der Mensch, der sie tut, Leben haben. Ich bin der Herr (3. Mose 18,5). Mehrfach versprach er Segen, ein gutes, gelingendes Leben dem, der seine Gebote hält. Und wir können das bis heute in der Welt beobachten: Menschen, die sich an Gottes Gebote halten, denen geht es grundsätzlich gut.

Dies will Luther nicht bestreiten, sondern hält im Gegenteil fest und bestätigt: «Das Gesetz Gottes ist die heilsamste Lebensregel.» Warum sagt er dann aber gleich darauf, dass es «ein Hindernis auf dem Weg zur Gerechtigkeit» sei?

Um das zu beantworten, müssen wir zuerst definieren, was Luther hier mit ‹Gerechtigkeit› meint. Er verwendet, wie die Bibel auch, das Wort Gerechtigkeit auf verschiedene Weise. Die Bibel spricht oft von einem gerechten Menschen, wenn er grundsätzlich ein tadelloses Leben führt, das Gute seiner Mitmenschen sucht und Gott gehorsam sein will. Ein solcher Gerechter ist nicht ohne Sünde, sondern jemand, der grundsätzlich bemüht ist, nach Gottes Massstäben zu leben.

Das ist aber nicht das, was Luther hier mit Gerechtigkeit meint. Es geht ihm hier um die Rechtfertigung des Sünders vor Gott; also um den Weg, auf dem ein Mensch von Gott vor seinem Richterstuhl freigesprochen wird – als Unschuldiger bezeichnet wird. Um diese Rechtfertigung zu erlangen ist das Gesetz nicht nur ungeeignet, sondern sogar ein Hindernis. Wie ist das zu verstehen?

Wir müssen uns zuerst vor Augen halten, dass nur ein vollkommen gerechter, also sündloser Mensch von dem heiligen und gerechten Gott akzeptiert werden kann. Gott sagt nicht über einen Menschen das Urteil «unschuldig», wenn er es nicht tatsächlich ist. Jesus zeigt, dass wir das Gesetz Gottes, das die von Gott geforderte Gerechtigkeit definiert, erst richtig verstanden und gehalten haben, wenn wir es auch in unseren Gedanken und Wünschen gehalten haben.

Vermutlich kennen wir alle seine Aussagen in der Bergpredigt, dass der Ehebruch schon begangen ist, wenn jemand ‹im Herzen› – durch begehrliche Blicke – Ehebruch vollbracht hat. Oder dass das Gebot: «Du sollst nicht morden» bereits übertreten ist, wenn jemand dem Nächsten mit Hass im Herzen begegnet.

Das Gesetz als Gottes Massstab erinnert uns nun ständig daran, dass wir es nie erreichen können. Es frustriert und entmutigt somit unsere Bemühungen, durch vollkommenes Halten bei Gott angenommen und als gerecht erklärt zu werden. Das Gesetz schaut uns als unbestechlicher Richter sozusagen ständig über die Schulter und beurteilt jede unserer Taten, jedes Wort, jeden Gedanken oder Wunsch. Und zu jedem von ihnen fällt es das unerbittliche Urteil: «ungenügend, böse!»

Und sozusagen begleitend dazu kommt etwas Weiteres: unsere Natur, die von der Sünde durchtränkt und geschwächt ist, wird durch das Gesetz sogar angestachelt und gereizt, es erst recht zu übertreten. Vielleicht am deutlichsten kommt dies mitunter bei Kindern zum Ausdruck. Sobald du einem Kind sagst: «Tu das nicht!», wird es vom Verlangen erfasst, genau das zu tun, was du ihm verboten hast.

Dahinter steht eine erweiterte Funktion des Gesetzes: es zeigt nicht nur auf, was Gottes guter Wille ist und was Sünde ist. Es offenbart auch die Sündhaftigkeit in uns. Es macht unsere sündhafte Neigung sichtbar, die exakt dem entgegenstrebt, was das Gesetz Gottes verlangt.

Das Gesetz lässt uns keine Chance, aus unserem natürlichen Antrieb gut zu sein oder zu werden. Es überfordert unsere Kräfte vollkommen. Wenn der Mensch sich aufmacht und versucht, alles einzuhalten, was vom Gesetz verlangt wird, muss er bald aufgeben und zugeben: «Ich kann das niemals schaffen.»

Auf diese Weise ist das Gesetz ein Hindernis auf dem Weg zur Gerechtigkeit, zur Rechtfertigung bei Gott. Es kann uns Gott nicht angenehm machen, uns nicht gerecht machen. Es kann nur fordern und verurteilen. Damit ist das Gesetz ein Hindernis für den Menschen, der meint, er könne die Zustimmung Gottes durch das Halten des Gesetzes erreichen.

Die Gnade des Gesetzes

Es ist aber nicht ein Hindernis für Gott, den Menschen zu rechtfertigen und ihn mit sich zu vereinen. Im Gegenteil: Gott hat sogar das Gesetz aus Gnade gegeben. Das ist ein Punkt, den Luther in seinen Thesen zur Heidelberger Disputation nicht so deutlich herausstreicht. Es ging ihm hier mehr darum, die beiden Wege zur Rechtfertigung auseinanderzuhalten; den Römisch-Katholischen – aufgrund der Werke des Gesetzes, mithilfe der Gnade Gottes und den tatsächlich Biblischen – aufgrund der Gnade Gottes in Christus allein.

Aber in Luthers folgenden Schriften kommt das Thema ‹Gabe des Gesetzes aus Gnade› sehr wohl zum Ausdruck. Von Luther stammt der bekannte Begriff, dass das Gesetz ein ‹Zuchtmeister› ist. Es ist seine Übersetzung von Galater 3,24, die sagt: Also ist das Gesetz unser Zuchtmeister gewesen auf Christum, dass wir durch den Glauben gerecht würden.

Mit Zuchtmeister übersetzte er den Begriff paidagogos. Der Paidagogos (wörtlich Kinder-Führer) war zur Zeit der Verfassung des Neuen Testaments ein Erzieher, ein Haussklave, den der Vater anstellte, auf seine Kinder zu schauen, sie entweder selber zu unterrichten oder sie zum Lehrer zu bringen.

Gott, der himmlische Vater hat seinen Kindern das Gesetz zu diesem Zweck gegeben. Es soll sie lehren und, wie es uns in Galater 3,24 und an anderen Stellen in den Briefen von Paulus gezeigt wird, zu Christus hinführen, damit wir aus Glauben gerechtfertigt werden. Auf diese Weise ist das Gesetz eben nicht ein Hindernis auf dem Weg zur Rechtfertigung, sondern ein Werkzeug, ein Helfer der Gnade Gottes.

Das Gesetz als Pädagoge zeigt uns, wie wir oben schon gesehen haben, dass wir Christus, den Erlöser, dringend brauchen. Es hilft uns, zu erkennen, dass wir eben nicht gut, nicht gerecht, sondern durch und durch sündig sind; zu schwach, um den guten Willen Gottes zu tun – ja, sogar zu schwach um den Willen Gottes überhaupt zu wollen.

In seiner Gnade führt uns Gott durch das Gesetz zu dieser Erkenntnis und damit hin zur Erlösung in Christus. Dieser Aspekt ist heute vor allem dem evangelikalen Zweig der Kirche zu einem grossen Teil abhanden gekommen, oder ist zumindest getrübt. Mir scheint, als wolle man vielmehr direkt zu Jesus kommen. Man sieht Jesus als Freund, Helfer, Heiler, Tröster, Life-Coach …

Wenn wir nicht auf dem Weg über das Gesetz zu ihm kommen, dann verliert Jesus Christus für uns die Bedeutung als der, der mit dem Problem unserer Sündhaftigkeit, Ungerechtigkeit und Rebellion gegen Gott umgeht. Wenn wir nicht (durch das Gesetz) erkennen, wie böse und verloren wir vor Gott sind, dann sehnen wir uns nicht so sehr nach einem Retter, der uns vor dem heiligen Gott rechtfertigt, sondern viel mehr nach einem Helfer, der unser weltliches Leben angenehmer macht. So ein Helfer wird uns im zeitgenössischen Christentum vielfach angeboten.

Ich schaue mir ab und zu im Fernsehen das Wort zum Sonntag an. Da wird mir fast ausnahmslos ein Christus-loses Christentum vor Augen (und Ohren) gehalten. Die Redner sprechen über Mitmenschlichkeit, Arbeitslosigkeit, Ausländerfeindlichkeit, Benachteiligung von Frauen oder anderen Minderheiten usw.

Es ist nicht falsch, als christlicher Redner aktuelle Themen aufzugreifen und die christliche Lehre darauf anzuwenden. Aber diese Redner scheinen alle die wahre Funktion des Gesetzes zu verkennen, indem sie einfach dazu ermahnen, dass wir gute Christen sein sollen, indem wir gemäss dem Gesetz Gottes leben und dem Nächsten Gutes tun. Jesus ist dabei lediglich unser Vorbild oder, wenn’s hoch kommt, Unterstützer.

Dieselbe Ausrichtung finde ich oft in Predigten evangelikaler Verkündiger. Oder in den meisten Büchern in christlichen Buchläden. Neben Romanen und Biografien grosser Vorbilder finden wir dort fast nur Lebensratgeber. «Wie kann ich angstfrei leben? Wie kann ich ein besserer Vater/Ehemann, eine bessere Mutter sein? Wie kann ich als Christ am Arbeitsplatz klarkommen? Wie kann ich ein effektiver Leiter sein?»

Immer und immer wieder kommt hier eigentlich nichts anderes als das Gesetz. Aber nicht als das Gesetz, das mich an meiner eigenen Schwachheit und Sünde verzweifeln lässt und damit zu Christus treibt. Sondern das Gesetz als Weg, durch eigene Methoden und Klugheit gerecht zu sein. Und um damit dann vielleicht Gottes Wohlwollen zu ernten.

Damit sind wir heute wieder sehr nahe an der Lehre der Römischen Kirche, die Luther in Frage stellte und bekämpfte. Und die natürlich zuerst durch die biblische Lehre widerlegt wird. Darum ist es höchst angebracht, dass wir immer wieder einmal zu den Quellen der Reformation zurückkehren und daraus schöpfen. Wir könnten von den Riesen, auf deren Schultern wir einst standen, vieles erkennen und lernen, um wieder auf den biblischen Kurs zu kommen.

Die 16. These Luthers kann diesen Punkt zusammenfassen: Der Mensch, der da meint, er wolle dadurch zur Gnade [oder: zum Wohlwollen Gottes] gelangen, dass er tut, soviel ihm möglich ist, häuft Sünde auf Sünde, so dass er doppelt schuldig wird.

Es ist die Gnade Gottes, die das Gesetz gab, die uns nicht durch das Halten des Gesetzes zum Ziel kommen lässt, sondern uns zeigt, dass unsere Sünde unüberwindbar ist. Wir brauchen einen Stärkeren als uns selbst, um dieses Werk zu vollbringen. Wir brauchen Christus, der das Gesetz als unser Stellvertreter erfüllt hat.

Rechtfertigung allein aus Gnade

Der Mensch gewordene Gott, Jesus Christus, hat Gottes Forderung nach Gerechtigkeit vollkommen erfüllt. Und er hat die Strafe, den Fluch Gottes über unsere Ungerechtigkeit und Sünde, anstelle derer ertragen, die durch Glauben an ihn zu Gott kommen.

Jetzt aber ist ohne Gesetz Gottes Gerechtigkeit geoffenbart worden, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten: Gottes Gerechtigkeit aber durch Glauben an Jesus Christus für alle, die glauben.
(Römer 3,21-22)

In seiner typisch prägnanten Ausdrucksweise schrieb Luther (These 16): Das Gesetz sagt: «Tue das!», und es geschieht niemals. Die Gnade spricht: «An den sollst du glauben!», und alles ist schon getan. Dies wird bestätigt durch die biblische Lehre. Ein deutliches Beispiel finden wir wieder im Römerbrief:

Denn das dem Gesetz Unmögliche, weil es durch das Fleisch kraftlos war, tat Gott, indem er seinen eigenen Sohn in Gleichgestalt des Fleisches der Sünde und für die Sünde sandte und die Sünde im Fleisch verurteilte, damit die Rechtsforderung des Gesetzes erfüllt wird in uns, die wir nicht nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist wandeln.
(Römer 8,3-4)

Das Gesetz war durch das Fleisch kraftlos, das heisst: die menschliche Natur kann nach dem Fall Adams das Gesetz nicht mehr halten. Gott hat aber nicht auf diese Einhaltung vonseiten des Menschen verzichtet – sozusagen beide Augen zugedrückt – sonst wäre er wohl barmherzig oder gnädig, aber nicht mehr heilig und gerecht gewesen.

Nein, sondern Gott der Sohn ist selber Mensch geworden und hat in der menschlichen Natur die Rechtsforderung des Gesetzes erfüllt und die gerechte Strafe für die Sünde getragen. Als der zweite Adam ist er nun das Haupt der neuen Menschheit. Der erste Adam ist gefallen. In ihm sind alle gefallen und sind Sklaven der Sünde geworden. Der zweite Adam ist ebenso versucht worden wie der erste, aber er ist nicht gefallen, sondern hat über die Macht des Bösen triumphiert.

Wer noch in Adam ist, d. h. in seiner alten Natur lebt, vielleicht versucht, durch eigene Anstrengung das Gesetz zu erfüllen, dem sagt das Gesetz: «Du bist schuldig, verurteilt und verloren. Du brauchst den Christus.» Wer Christus im Glauben ergreift, d. h. Gottes Vergebung durch ihn in Anspruch nimmt, und sich seiner Herrschaft unterstellt, wird Vergebung erhalten und durch das Wirken des Heiligen Geistes ‹in Christus versetzt›.

‹In Christus› zu sein, heisst, mit ihm einsgemacht zu sein, so dass alles, was Christus getan hat und was für Christus gilt, auch für den Glaubenden Tatsache ist. Gott spricht über den, der so glaubt, sein Urteil: «Dieser ist gerecht» – er hat alles getan, was das Gesetz fordert [weil sein Stellvertreter es für ihn getan hat] und er hat die Strafe für alle seine Ungerechtigkeit bereits gebüsst [weil Christus für ihn gebüsst hat].

Das ist Gottes Weg, den Ungerechten zu rechtfertigen. Wir erlangen Rechtfertigung (oder Gerechtsprechung) nicht durch das Tun der Werke des Gesetzes, sondern durch Kapitulieren, durch das Akzeptieren des Todesurteils des Gesetzes und das Vertrauen auf Gottes Gnade, die er in Christus schenkt.

Jeder andere Weg ist zum Scheitern verurteilt. Jeder, der nicht durch Glauben allein zu Gott kommen will, bleibt durch das Gesetz verurteilt, und die Forderung des Gesetzes, die Anklage und die Verurteilung zum ewigen Tod bleibt bestehen. Egal wie christlich oder wie fromm sich jemand gebärdet.

Ihr seid von Christus abgetrennt, die ihr im Gesetz gerechtfertigt werden wollt; ihr seid aus der Gnade gefallen.
(Galater 5,4)

Das Gesetz und die guten Werke haben dann, wenn wir durch Gnade gerechtfertigt sind, sehr wohl noch eine eine bleibende Bedeutung. Dies ist zwar nicht Teil der Auseinandersetzung der Heidelberger Disputation, aber ich will es der Vollständigkeit halber noch erwähnen. Es handelt sich um den sogenannten dritten Gebrauch des Gesetzes, ein Begriff, den Johannes Calvin geprägt hat.

Die meisten neutestamentlichen Briefe, gerade auch diejenigen, die vorwiegend die Rechtfertigung allein aus Gnade behandeln, haben einen Teil (meistens der zweite), der das Gesetz als Lebensregel anwendet. Jesus selber sagte, dass er nicht gekommen sei, um das Gesetz aufzulösen, sondern zu erfüllen (Matthäus 5,17), worauf er in der Bergpredigt erklärt, wie das Gesetz verstanden und auch ausgelebt werden muss – von denen, die bereits aus Gnade durch Glauben gerechtfertigt sind. Wie er das Gesetz auf diese Weise erfüllt, wie Rechtfertigung aus Gnade und Leben in guten Werken zusammenhängen, können wir z. B. im Titusbrief lesen:

Denn einst waren auch wir unverständig, ungehorsam, gingen in die Irre, dienten mancherlei Begierden und Lüsten, führten unser Leben in Bosheit und Neid, verhaßt, einander hassend. Als aber die Güte und die Menschenliebe unseres Heiland-Gottes erschien, errettete er uns, nicht aus Werken, die, in Gerechtigkeit vollbracht, wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit durch die Waschung der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes.

(Titus 3,3-5)

Er hat sich selbst für uns gegeben, damit er uns loskaufte von aller Gesetzlosigkeit und sich selbst ein Eigentumsvolk reinigte, das eifrig sei in guten Werken.
(Titus 2,14)

Das Gleiche schreibt der Aposteln in seinem Brief an die Epheser:

Denn aus Gnade seid ihr errettet durch Glauben, und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es; nicht aus Werken, damit niemand sich rühme. Denn wir sind sein Gebilde, in Christus Jesus geschaffen zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, damit wir in ihnen wandeln sollen.
(Epheser 2,8-10)

Die Rechtfertigung geschieht nicht durch das Einhalten des Gesetzes, sondern allein durch Gottes Gnade in Christus. Sobald wir aber in Christus sind, sind wir dazu befreit, dem Willen Gottes gemäss, wie er im Gesetz offenbart wird, zu leben.